Integration im Wandel der Zeit „Wir riefen Arbeiter, und es kamen Menschen“

Veröffentlicht am 06.06.2011 in AntiFa/Migration

Zu diesem aktuellen Thema veranstaltete der SPD Ortsverband Frontenhausen einen Informationsabend mit anschließender Diskussion im Restaurant zur Aphrodite in Frontenhausen. In seinen einleitenden Worten beklagte der SPD Vorsitzende Hartmut Manske die allgemeine passive Haltung der Politik und der Wirtschaft zur Integration. Rund 82 Millionen Menschen aus fast einhundert Staaten leben in unserem Land. Davon sind mehr als 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. In Frontenhausen leben derzeit 171 Bürger aus insgesamt 31 Staaten mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Wenn wir über Globalität reden, sollten wir das gegenseitige Verständnis von ausländischen und einheimischen Mitbürger/Innen positiver betrachten. Denn immerhin sind unsere ausländischen Mitbürger aus den verschiedensten Kulturkreisen, ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, so der Vorsitzende Hartmut Manske.

In seinem Grußwort erinnerte der SPD Kreisvorsitzende Dr. Bernd Vilsmeier an die neue Weichenstellung der damaligen Regierungskoalition, weg von einer Politik des Nichtstun, hin zu einer aktiven Politik für Teilhabe und Integration. So hatte die SPD dafür gesorgt, dass alle hier geborenen Kinder auch deutsche Staatsbürger werden können, dass Diskriminierung umfassend bekämpft wird und dass für alle Zugewanderten Integrationskurse Pflicht sind. Wir setzen uns für eine ehrliche und offene Debatte über Integration ein, die Erfolge ebenso klar benennt wie Probleme. Wir verurteilen diskriminierende oder rassistische Thesen scharf. Integration ist für uns eine soziale Aufgabe. Frühkindliche Bildung, individuelle Förderung, gute Deutschkenntnisse, der Ausbau von Ganztagsschulen, mehr Schulsozialarbeit und eine verbesserte Integration in den Arbeitsmarkt darauf kommt es an.
Musa Kirbas, SPD-Mitglied und seit 1981 freigestelltes Betriebsratsmitglied bei der BMW-AG wurde 1953 in Cumali in der Türkei geboren, lebt seit Oktober 1966 in Bayern und besitzt seit 1996 die deutsche Staatsbürgerschaft. So stellte sich der Integrationsbeauftragte der IG-Metall einleitend, bei der großen Zahl interessierter Zuhörer vor. Mit einer ca. einstündigen PowerPoint – Präsentation, angereichert mit Bildern, Zahlen und Beispielen, unterstrich Musa Kirbas auch optisch sein von ihm ausgearbeitetes Referat zum Thema „Integration“ Angefangen von seiner Anreise nach Deutschland als Familienangehöriger vor 45 Jahren als gerade einmal 13-Jähriger, erzählte er von seiner Ankunft im Münchner Hauptbahnhof auf Gleis 11. Alle Gastarbeiterzüge kamen damals auf Gleis 11 an, erinnerte er sich. Und so wurde Deutschland – zu der Zeit noch Auswanderungsland – zum Einwanderungsland. Denn als die Arbeitskräfte, bedingt durch den Wirtschaftsaufschwung (man sprach auch von der Ära des „Wirtschaftswunderlandes“) rar wurden, schloss die Regierung 1961 ein so genanntes „Anwerbe-Abkommen“ mit der Türkei. Nur mit ihren Koffern und Taschen bepackt, warteten die Ankömmlinge darauf, wo sie hingebracht würden. Unbeliebte Berufe und Arbeitsplätze – man sprach auch von „anrüchigen“ Tätigkeiten – wie z. B. Müllwerker, wurden so von diesen Migranten ausgeführt und besetzt. Von dem bekannten Schriftsteller Max Frisch stammt der Satz: „Man hat Arbeitskräfte gerufen – und es kamen Menschen“. In eindrucksvollen Bildern schilderte der Referent die Szenen am Heimatbahnhof bei der Verabschiedung der Angehörigen in ein fremdes Land in eine unbekannte Zukunft, die Ankunft in München, das Registrieren bei den Behörden sowie das Verteilen auf die einzelnen Regionen und Betriebe. Ein weiterer Abschnitt war überschrieben mit „Migrationsprozesse im Schatten der Globalisierung“ und Musa Kirbas meinte dazu, so sei die politische Lage nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz gewesen: es gab die Politik des „marktrechtlichen „Umbaus von Sozialstaat und Gesellschaft. Der Markt und die Konkurrenz wurden zu Hauptgestaltungsprinzipien, ferner sollte der Sozialstaat durch einen so genannten Wettbewerbsstaat ersetzt werden. Der Redner beklagte, dass viele Regierungen auf diesen Kurs einschwenkten, so auch die derzeitige schwarz – gelbe Regierung, und er beklagte auch die „Agenda 2010“ der rot – schwarzen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder mit ihrer sinnbildlich ökonomisch und sozial falschen Politik, wie er es einschätzte. Die politische Lage, so Musa Kirbas, sei von „Neoliberalismus“ durchsetzt. Und somit stehen nicht die Interessen der Bevölkerung, sondern das Kapital im Vordergrund. So verliere die Politik an Zustimmung und es werde dadurch auch die Entsolidarisierung und Polarisierung zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen forciert.
Vor 1955 nannte man die ausländischen Bürger noch „Fremdarbeiter“. Nach 1955 bis 1971 sprach man von „Gastarbeitern“ und ab 1972 von den „Ausländischen Arbeitnehmern“.
Bekannt waren auch Begriffe wie Wanderarbeitnehmer – Einwanderer – Zuwanderer und Migranten, wie man sie heute nennt. Ebenso kennen wir noch die Flüchtlinge, die durch Verfolgung oder Kriege bedingt hier landen, und zu denen kommt noch die große Masse an „Asylbewerbern“.
Als Gastarbeiter bezeichnete man ursprünglich eine Personengruppe der man aufgrund des so genannten Anwerbeabkommens zur „Erreichung von Erwerbseinkommen“ einen zeitlich befristeten Aufenthalt in der BRD gestattete. Da der Begriff „Gastarbeiter“ als negativ empfunden wurde, erfolgte auf Initiative des Westdeutschen Rundfunks (WDR) 1972 ein Preisausschreiben zur Findung eines „geeigneteren“ Wortes. Aus den 32 000 Vorschlägen die eingegangen waren, entschied man sich letztlich für den Begriff „Ausländischer Arbeitnehmer“. Zurzeit leben in Deutschland etwa 15,6 Millionen Menschen als Einwanderer oder mit einem solchen Hintergrund, so Kirbas, weiter. Das zunächst eingeführte Rotationsgesetz funktionierte nicht so, wie es sich die Bonner Regierung vorgestellt hatte. Danach sollten die Arbeitskräfte nur kurzfristig in Deutschland bleiben, um dann wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren. Aber immer weniger Ausländer wollten in die Heimat zurück und auch die Betriebe hatten ein berechtigtes Interesse, ihre mittlerweile qualifizierten und gut eingearbeiteten Mitarbeiter zu halten. Hinzu komme das Problem, so Musa Kirbas, dass sie in Deutschland immer noch als Ausländer, in ihrer Heimat als „Deutschländer“ galten. Isolation hier wie dort sei die Folge gewesen, da viele ihre Heimatsprache schon nicht mehr beherrschten. Dadurch ließen viele ihre Familienangehörige nachkommen, so dass sich die Zahl der ausländischen Bevölkerung innerhalb von nur 18 Jahren „verdreißigfachte!“ 1964 war Armando Rodrigues de Sá aus Portugal der „millionste Gastarbeiter“ führte der Referent weiter aus. Dieser erhielt ein Moped geschenkt. Seit den Jahren 1965 – bis 1971 stieg der Ausländeranteil an den Schulen drastisch von 35 000 auf 159 000. 1971 gab es eine Änderung der Arbeitserlaubnisregelung (AEVO) wonach Arbeitnehmer die länger als 5 Jahre in Deutschland gearbeitet hatten, eine besondere Arbeitserlaubnis erhielten. Ebenso wurden die Arbeitsbedingungen im gleichen Jahr geändert. 1973 gab es 2,6 Millionen ausländische Beschäftigte. Das war Rekord. Damals war der der Höhepunkt der Zuwanderung erreicht und es erfolgte der Beschluss der Regierung, ein Aktionsprogramm für Ausländerbeschäftigung zur Einschränkung der Ausländerzahl festzuschreiben. Als man dann im Jahr 1980 das „Rückkehrforderungsgesetz“ beschloss, welches laut Musa Kirbas mit einer, scherzhaft genannt: „Hau-ab“ Prämie von 10.500 DM ausgestattet wurde, glaubte man, dass davon viele Gebrauch machen würden. Doch dieser finanzielle Anreiz für Migranten, in ihre Heimatländer zurückzugehen, zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Der Ausländerbeauftragte Heinz Kühn beschloss 1978: „Deutschland ist ein faktisches Einwanderungsland“. Somit ergaben sich erste Ansatzpunkte für eine Integration. Ziel 1 sollte sein: Kommunales Wahlrecht für Ausländer, Ziel 2: Erleichterung der Einbürgerung „per Postkarte“ zunächst aber nur für Kinder, Ziel 3: ernst gemeinte Integrationsangebote wie z. B. Sprachangebote. All das sollte gesetzlich geregelt werden, doch das Ergebnis war: Keines dieser Ziele wurde erreicht, stellte Musa Kirbas fest. Auch in den Jahren 1981 – 1990 gab es Integrationskonzepte und auch hier spricht Musa Kirbas von einem verlorenen Jahrzehnt in der Ausländerpolitik. Ab 1990 bis 1998 fokussierte man sich auf die Ausländerpolitik und man diskutierte im wiedervereinigten Deutschland über Begriffe wie: Einwanderungsland Deutschland – multikulturelle Gesellschaft – homogene Volkswirtschaft und das Schlagwort „Asylmissbrauch“ machte die Runde. Mit anderen Worten: „Das Boot ist voll!“ Die Folge davon, so informiert der Redner weiter, es werden Überfremdungsängste und Fremdenhass systematisch geschürt. Es häufen sich fremdenfeindliche Anschläge in Deutschland bis hin zu Brandanschlägen mit Toten. Der hessische Wahlkampf wird mit ausländerfeindlichen Untertönen geführt und Roland Koch heizt den Wahlkampf noch zusätzlich mit seiner Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, an. Und vom Politiker Rütgers stammt die Parole „Kinder statt Inder“! In seiner ersten Berliner Rede als Bundespräsident fällt u. a. der Satz von Johannes Rau: „Ohne Angst und Träumereien gemeinsam in Deutschland leben!“ Integration bedeutet laut Duden „Einbeziehung, Eingliederung in ein großes Ganzes“, in der Soziologie: „Einbindung von Minderheiten in die Gesellschaft“. Musa Kirbas erklärte den Zuhörerinnen und Zuhörern auch, was er unter Integration verstehe, nämlich ein nachbarschaftliches Miteinander und kulturelles Zusammenleben Deutscher und Nichtdeutscher, die Gleichbehandlung aller in Gesellschaft und Politik, Chancengleichheit in Schulen, im Berufsleben sowie am Arbeitsmarkt. Als Schlusswort brachte er die Gleichung: Hans plus Hassan, sei für ihn gleich Integration! Musan Kirbas erntete mit seinem Beitrag wohlverdienten Beifall.
In der anschließenden anregenden Diskussion waren sich alle Anwesenden einig, dass es noch erheblichen Handlungsbedarf von der politischen und wirtschaftlichen Seite gibt, wenn man bedenkt, welchen Stellenwert unsere ausländischen Mitbürger/innen haben. Abschließend bemerkte der SPD Vorsitzende, „nicht nur die gerechte Teilhabe am Arbeitsleben, sondern auch die gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht es unseren ausländischen Mitbürgern, Integration zu leben.

 

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